Dr. Ludwig Finckh
1876 - 1964
Dr. med. Eduard Ludwig Finckh,
* Reutlingen 21.3.1876, † Gaienhofen 8.3.1974; S.d. Paul Rudolph Finckh, Apotheker in Reutlingen;
oo Karlsruhe 17.1.1907 Dora Gertrude Honsell (* Bad Dürrheim 19.9.1880, † 7.4.1951; T.d. Hermann Honsell, Geheimer Oberbergrat? in Karlsruhe, u.d. Elisabeth Obkircher), 5 Kinder
[Ehrungen].
Mitglied: 1920 bis 1964 (Gründungsmitglied) ♦ Ehrenmitglied: 1923
Der Apothekersohn Ludwig Finckh absolvierte das Abitur am Gymnasium in Reutlingen. Er studierte zunächst Rechtswissenschaften in München und Tübingen, brach aber das Studium kurz vor dem Examen ab. Stattdessen begann er ein Studium der Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Als Student befreundete er sich 1897 mit Hermann Hesse, der zu dieser Zeit eine Buchhändlerlehre in Tübingen machte. 1904 wurde Finckh im Freiburg im Breisgau zum Dr. med. promoviert.[1] Nach einer kurzen Zeit als Assistenzarzt in Aachen zog er 1905 nach Gaienhofen, wo Hesse bereits seit 1904 lebte. Finckh ließ sich hier als freier Schriftsteller nieder und gründete eine Familie.
Durch seinen in volkstümlicher Sprache verfassten Roman 'Der Rosendoktor' begannen 1906 Finckhs schriftstellerische Erfolge. Max Bucherer entwarf den vom Jugendstil geprägten Bucheinband wie auch bei den beiden anderen, 1906 erschienenen Büchern – 'Rosen' (Gedichte) und 'Biskra' (Reiseerzählung). 1909 schloss sich der Roman 'Rapunzel' an, der in einer Sonderausgabe 100.000 Mal verkauft wurde. Auch die 'Reise nach Tripstrill' wurde 1911 zum Erfolg. Seine literarischen Werke demonstrieren die "Entwicklung vom Heimat- zum völkischen Blut- und Boden-Dichter."[2]
Infolge seines großen Engagements gegenüber den Auslandsdeutschen, denen er ihr "Deutschtum" ins Gedächtnis rufen und die er für seine Ahnenforschung begeistern wollte, wurde er "Vater der Auslandsdeutschen" genannt.[3] Ihnen widmete er den 1924 erschienenen Roman 'Der Vogel Rock', in dem er „bereits Gedanken zur planmäßigen Züchtung von Menschen und zur Euthanasie“[4] formuliert: "Aufzucht machen in einer Richtung […]. Geringes ausschalten, es gäb einen schlechten Stamm. Und man muß wissen, wohin man will."[5]
Neben seinen Romanen versuchte Ludwig Finckh seiner Lesergemeinde seine dichterische Heimat, den Hegau und dessen Vulkanberge, zu erschließen. Bekannt ist seine Bezeichnung des Hegaus als "[d]es Herrgotts Kegelspiel". Des Weiteren machte sich Finckh um den Naturschutz im Hegau verdient, indem er sich für den Stopp des Basaltabbaus am Hohenstoffeln einsetzte. Ein Wanderweg im Hegau, der nach ihm benannt ist, und mehrere Gedenksteine bzw. Tafeln am Hohenstoffeln zeugen von seinem Einsatz.
Während der gemeinsamen Gaienhofener Zeit – Hesse zog 1912 nach Bern – verband Hesse und Finckh zunächst eine enge Freundschaft. Aufgrund unterschiedlicher Ansichten entfremdeten sie sich jedoch immer mehr. Zum einen vertrat Finckh ein Bild von Familie und Muttertum, das nicht Hesses künstlerischem Selbstverständnis entsprach. Zum anderen kritisierte Hesse Finckhs unkritische, nationalistische und antisemitische Haltung.
Nach der "Machtergreifung" durch die Nationalsozialisten gehörte Finckh im Oktober 1933 zu den 88 Schriftstellern, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterzeichneten.[6] Finckh war ab 1933 aktives Parteimitglied der NSDAP (Kulturstellenleiter und Propagandaleiter in Gaienhofen) und engagierte sich unter anderem in Heinrich Himmlers Organisation Deutsches Ahnenerbe.[7] Als Referent für das Gebiet der "Sippenkunde und Vererbung" hielt er in der Gaienhofener Gauschule des Nationalsozialistischen Lehrerbundes ab 1935 regelmäßig Vorträge über Ahnenforschung und Erbbiologie, das zentrale Thema mehrerer seiner bereits seit 1920 veröffentlichten Bücher.
Auch vor Absolventen der Waffen-SS-Unterführerschule in Radolfzell hat Finckh solche Vorträge ab 1941 nachweislich gehalten.[8] Der Apotheker, Pharmaziehistoriker und Schriftsteller Walther Zimmermann zählte sich zu den Dichterfreunden Ludwig Finckhs und korrespondierte mit ihm. Im Stadtarchiv von Reutlingen befindet sich im Finckhschen Nachlass ein Brief Zimmermanns vom 23. April 1943. Darin wird der "Reichsjugendwalter der Deutschen Apothekerschaft" Ernst Benno Mutschler charakterisiert.[9]
In den Jahren nach 1945 stellte Finckh seine Freundschaft mit Hesse in verschiedenen Schriften wie dem Aufsatz 'Schwäbische Vettern' (1948), der Erzählung 'Verzauberung' (1950), der 'Gaienhofener Idylle' und insbesondere in seiner 1961 erschienenen Autobiographie 'Himmel und Erde' dar. Diese war unter dem Eindruck einer sinkenden literarischen Bedeutung entstanden und umschrieb eine innige Verbundenheit der beiden Schriftsteller. Hesse, den Finckh nach 1945 unter anderem um Unterstützung in seinem Spruchkammerverfahren gebeten hatte, verwahrte sich gegen die Widmung des Gedichtbandes Rosengarten, weil sie bei den Lesern den Eindruck erwecke, als seien er und Finckh „im Denken und innersten Gewissen verbunden und einig“.[10] Die Autobiographie bezeichnete Hesse schließlich als "das Buch eines alten vernagelten Nazi, der 12 Jahre lang 'Heil Hitler' geschrieen hat und es am liebsten wieder täte".[11]
Mehrere von Finckhs Werken wurden in der Sowjetischen Besatzungszone und der Deutschen Demokratischen Republik auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.
1960 erschien die Biographie Konrad Widerholt, in der Finckh u. a. die Zeit des Dreißigjährigen Krieges am Bodensee beschreibt.
Ludwig Finckh starb am 8. März 1964 im Alter von 87 Jahren und wurde im Mai 1964 an der Achalm bei Reutlingen beigesetzt. Das Stadtarchiv Reutlingen bewahrt einen Großteil von Finckhs Nachlass. Er stellt durch die umfangreiche Korrespondenz mit gemeinsamen Freunden und Bekannten eine wichtige Quelle der Hesse-Forschung dar.
Die unkritischen Würdigungen Finckhs werden mit Blick auf seine NS-Belastung zunehmend kritisiert; fast alle bisherigen Initiativen, nach Finckh benannte Straßen und Wege umzubenennen, waren bislang jedoch erfolglos oder die Entscheidung wurde vorbehaltlich einer umfassenden Aufarbeitung der NS-Geschichte der jeweiligen Stadt auf unbestimmte Zeit vertagt.[12]
Fussnoten:
[1] ↑ Katalogkarte der Dissertation, Dissertationenkatalog der Universitätsbibliothek Basel [online]
[2] ↑ Jana Rogge: Ludwig Finckh – der rassistische Ahnenforscher. In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter und das „Dritte Reich“. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Band 3: 9 Autorenporträts und eine Skizze über das Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes. Aisthesis, Bielefeld 2015, S. 84.
[3] ↑ Jana Rogge: Ludwig Finckh – der rassistische Ahnenforscher. In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter und das „Dritte Reich“. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Band 3: 9 Autorenporträts und eine Skizze über das Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes. Aisthesis, Bielefeld 2015, S. 86; Deutscher Volksverlag München (Hrsg.): Gesamtverzeichnis Ludwig Finckh. Deutscher Volksverlag, München 1935, S. 1; Ernst Loewy: Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung. Eine Dokumentation. Hain, Frankfurt am Main 1990, S. 312.
[4] ↑ Jana Rogge: Ludwig Finckh – der rassistische Ahnenforscher. In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter und das „Dritte Reich“. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Band 3: 9 Autorenporträts und eine Skizze über das Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes. Aisthesis, Bielefeld 2015, S. 86; Deutscher Volksverlag München (Hrsg.): Gesamtverzeichnis Ludwig Finckh. Deutscher Volksverlag, München 1935, S. 1; Ernst Loewy: Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung. Eine Dokumentation. Hain, Frankfurt am Main 1990, S. 312.
[5] ↑ Ludwig Finckh: Der Vogel Rock. DVA, Stuttgart 1924, S. 44, zitiert nach Rogge (2015), S. 88.
[6] ↑ Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 153.
[7] ↑ Joachim Radkau, Frank Uekötter: Naturschutz und Nationalsozialismus. Campus, Frankfurt am Main 2003. S. 319; vgl. ferner: Kurt Oesterle: Doktor Faust besiegt Shylock. Wie Ludwig Finckh den Hohenstoffeln rettete und wie der Reichsführer SS Heinrich Himmler als sein Mephisto ihm dabei half. In: Hegau. Bd. 54/55 (1997/98), S. 191–208.
[8] ↑ Zu Ludwig Finckhs Vortragstätigkeit an der NSLB-Gauschule Gaienhofen und an der Waffen-SS Unterführerschule Radolfzell: Markus Wolter: Dr. Ludwig Finckh – „Blutsbewusstsein“. Der Höri-Schriftsteller und die SS. In: Wolfgang Proske (Hrsg.): Täter, Helfer, Trittbrettfahrer, Band 5. NS-Belastete aus dem Bodenseeraum. Gerstetten 2016; ders.: Radolfzell im Nationalsozialismus. Die Heinrich-Koeppen-Kaserne als Standort der Waffen-SS. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung. 129. Jg. (2011), S. 247 ff.
[9] ↑ Stefanie Boman-Degen/Christoph Friedrich: Walther Zimmermann (1890–1945). Für Apothekerstand und Staat. Stuttgart 2015, S. 128f. und Fußnote 611; ISBN 978-3-8047-3418-0
[10] ↑ Zitiert nach: Hermann Hesse: Gesammelte Briefe. Band 3. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982, S. 509.
[11] ↑ Zitiert nach: Gerald Kronberger: Hesse und Ludwig Finckh. Der fremde „Freund“ aus Gaienhofen. In: Reutlinger General-Anzeiger. 2. Juli 2002 (PDF).
[12] ↑ So beispielsweise in Villingen-Schwenningen 2014; vgl. Madlen Falke: Ludwig Finckh bleibt vorerst da. In: Schwarzwälder Bote, 20. Februar 2014, abgerufen am 8. August 2019.
Quellen:
(1) Bild aus:
(2) Seite „Ludwig Finckh“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 20. September 2019, 03:22 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ludwig_Finckh&oldid=192414442 (Abgerufen: 30. September 2019, 08:23 UTC)
(3) Karte 'Finckh Eduard Ludwig 1876' vom 14.9.1931 in Bestand Vereinsarchiv K40/11b
(4) Spruchkammerakte Ludwig Finck, Staatsarchiv Freiburg D 180/2 Nr. 221771 [online] und D 180/3 Nr. 1617
(5) Verein für Württembergische Familienkunde Stuttgart, Reinhold Scholl , Vorsitzender, Eidesstattliche Erklärung vom 19.1.1947, in: Spruchkammerakte Ludwig Finck, Staatsarchiv Freiburg D 180/2 Nr. 221771
(6) Normdaten: GND/11853307X
Verweise:
(a) Markus Wolter, Dr. Ludwig Finckh - 'Blutsbewusstsein', der Höri-Schriftsteller und die SS : * 21.3.1876 in Reutlingen, † 8.3.1964 in Gaienhofen, Dr. med., Schriftsteller, Sippen- und Ahnenkundler, 1933 NSDAP, NSLB, NSV, 1934 NSDÄB, RKB 1935 Kyffhäuserbund, 1937 RdK, 1935-1939 Kulturstellen- und Propagandaleiter der NSDAP und Dozent an der Gauschule des NSLB in Gaienhofen, 1936 "Schwäbischer Dichterpreis", nach 1941 Vortragsredner ..., in: Täter, Helfer, Trittbrettfahrer / hrsg. von Wolfgang Proske - 5. - Gerstetten, 2016. - S. 78 - 102 [WLB Stuttgart: 61/9589]
(b) Jana Rogge: Ludwig Finckh – der rassistische Ahnenforscher. In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter und das „Dritte Reich“. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Band 3: 9 Autorenporträts und eine Skizze über das Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes. Aisthesis, Bielefeld 2015, S. 84.
(c) Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 153.
(d) Joachim Radkau, Frank Uekötter: Naturschutz und Nationalsozialismus. Campus, Frankfurt am Main 2003. S. 319.
Kurt Oesterle: Doktor Faust besiegt Shylock. Wie Ludwig Finckh den Hohenstoffeln rettete und wie der Reichsführer SS Heinrich Himmler als sein Mephisto ihm dabei half. In: Hegau. Bd. 54/55 (1997/98), S. 191–208.
(e) Nachlaß im Stadtarchiv Reutlingen, Bestand N15